Eine gute Woche vor den Bundestagswahlen häufen sich die Anzeigen politischer Parteien in den Newsfeeds der Facebook-Nutzer. Mittels Microtargeting und Dark Posts adressiert die Politik den Wähler. So funktioniert die Anzeigenschaltung zur Wählermobilisierung bei Facebook.
Seit das Unternehmen Cambridge Analytica Ende 2016 behauptete, den US-Wahlkampf mittels Microtargeting via Facebook maßgeblich zugunsten von Donald Trump beeinflusst zu haben, bewegt die Frage nach dem Einfluss von Facebook-Anzeigen die Öffentlichkeit in Deutschland. Tatsache ist: Es gibt keine große politische Partei, die nicht werblich bei Facebook aktiv ist. Verschiedene Anzeigentypen kommen zum Einsatz und auch von den Möglichkeiten des Microtargetings und der Anzeigenschaltung mittels Dark Posts machen die Parteien gebrauch. Worin unterscheiden sich aber Dark Posts von anderen Facebook-Anzeigen und ist der eine Anzeigentyp besser als der andere?
Unterschiedliche Facebook Ads: Dark Posts vs. Promoted Posts
Facebook ermöglicht Anzeigenschaltungen, die sich im Kern in zwei Kategorien unterscheiden. So lassen sich einerseits Posts bewerben, die Parteien und Direktkandidaten auf ihren Profilseiten veröffentlichen. Bei diesen Promoted Posts handelt es sich zum Beispiel um Videos, Bilder oder Textbeiträge. Sie sind für sämtliche Nutzer von Facebook bei einem Besuch der Profilseite des Absenders sichtbar und erscheinen in Abhängigkeit der Targeting-Einstellungen auch im Newsfeed einiger User. Diesen Anzeigentyp der „Promoted Posts“ kommt weitaus weniger häufig zum Einsatz, als die sogenannten „Dark Posts“ – der zweite Anzeigentyp.
Facebook Anzeigen vom Typ Dark Posts erscheinen nie als organische Posts auf den Profilseiten von Parteien, Direktkandidaten (oder sonstigen Profilseiten von Werbetreibenden). Es ist allerdings bislang nicht möglich Anzeigen bei Facebook zu schalten und diese im Newsfeed auszuliefern, wenn keine eigene Facebook-Page vorhanden ist. Die Sichtbarkeit von Dark Posts ist an die vom Werbetreibenden ausgewählte Zielgruppe gebunden. Nur sie sieht das Werbemittel, denn Dark Posts erscheinen ausschließlich in den Newsfeeds von Facebook-Nutzern, die einen Teil der ausgewählten Zielgruppe. Allen anderen bleiben sie verborgen. Dark Posts existieren innerhalb von Facebook immer nur temporär und die Lebenszeit ist abhängig von der Größe des hinterlegten Budgets. Ist das Werbebudget des Dark Posts aufgezehrt, bekommt ihn niemand mehr zu sehen. Diese Möglichkeit der Anzeigenschaltung bei Facebook ist seit Jahren Praxis. Bisher kam es zu keiner nennenswerten Kritik, da es in der Regel um Produktmarketing ging. Bei Wahlwerbung, die via Facebook ausgesteuert wird, ist die Situation eine andere.
Kritik an der Werbeform von Facebook DarkPost
Die Kritik gegenüber Dark Posts besteht im Kern aus dem Vorwurf mangelnder Transparenz. Während die „normalen Anzeigen“ der Promoted Posts bei Facebook fortbestehen und sich theoretisch dauerhaft und von jedem Nutzer nachschlagen lassen, verschwinden Dark Posts mit auslaufendem Werbebudget im Dunkeln. Ohne Erwähnung blieb in der Diskussion bisher, dass sich auch Posts in den Timelines vom Betreiber der Page entfernen lassen. Parteien könnten also auch ihre Posts temporär veröffentlichen. In der Praxis geißelten die Anhänger einer Seite diese Praxis jedoch vehement. Vorsicht, Shitstorm-Gefahr!
Kritiker bemängeln noch einen zweiten Aspekt. Gegenüber einer Zielgruppe kann ein Werbetreibender mittels Dark Post eine politische Botschaft kommunizieren, während derselbe Akteure mit einem weiteren Dark Posts einer anderen Zielgruppe das Gegenteil verspricht. So wäre es für eine Partei ein Leichtes, gegenüber der Zielgruppe der Besserverdienenden Wohnungseigentümer als Gegner der Mietpreisbremse aufzutreten, während sie gegenüber Geringverdienern Mietern eine Verschärfung der Durchsetzung der Mietpreisbremse fordert. Auf diesem Wege ließen sich entlang der Zielgruppenkriterien Facebook Nutzer in ihrer Parteienpräferenz beeinflussen, während die wahre Haltung der Partei zum Thema unklar bleibt.
Tatsächlich handelt es sich beim Zuschneiden von Botschaften auf bestimmte Zielgruppen in der Regel um einen Weg, im Wettbewerb um die Aufmerksamkeit der Nutzer mit anderen organischen und werblichen Posts, aufzufallen. Ein akademisches Publikum ist mit anderer Sprache zu andressieren als eine vergleichsweise bildungsferne Zielgruppe. Ähnliches gilt auch für die Auswahl geeigneten Bildmaterials. Um der angesprochenen Zielgruppe einen Identifikationspunkt zu geben, können z. B. Frauen im Alter zwischen 30 und 40 Jahren, mit dem Bild einer entsprechenden Frau angesprochen werden. Diese Möglichkeiten der Zielgruppenansprache lassen sich also auch manipulativ einsetzen. Ob das im aktuellen Bundestagwahlkampf tatsächlich geschieht, ist bisher nicht bekannt. In jüngerer Zeit versuchen verschiedene Initiativen Licht ins Dunkle der #PolitikAds zu bringen.
Transparenz im Wahlkampf mit Facebook Ads und Co
Wahlbeobachter Martin Fuchs und Bloggerin Adrienne Fichter haben im Juni 2017 angestoßen, Wahlwerbung bei Facebook und von anderen Social Media Kanälen Public via Crowdsourcing sichtbar zu machen. Zahlreiche Nutzer machten daraufhin Wahlwerbung publik, die ihnen im Social-Web begegnet sind. Buzzfeed Deutschland ging mit dem „Dark Ads Projekt“ einen Schritt weiter und regte mit Hilfe von „WhoTargetsMe“ dazu an, mit einer Browser-Erweiterung für Chrome dazu beizutragen, Licht ins Dunkle der Facebook-Wahlwerbung zu tragen.
Zuletzt machten weitere Medienhäuser wie die Süddeutsche Zeitung auf #PolitikAds bei Facebook aufmerksam und bewarben den Facebook Political Ad Collector. Im Gegensatz zum Dark Ads Project hat der Political Ad Collector im Selbstversuch weitestgehend funktioniert. Allerdings bezieht sich die Datenerhebung nicht nur auf Anzeigen von Parteien zur Bundestagswahl. Auch alle weiteren Facebook-Anzeigen fließen in der Extension zusammen. „Alle Anzeigen“ ist dabei ein wenig zu optimistisch formuliert. Der Selbstversuch zeigte auch, dass das Tool einige Anzeigen schlicht übersieht. Doch nicht immer ist ein Tool notwendig, um die werblichen Aktivitäten von Parteien sichtbar zu machen. Eine Partei veröffentlicht proaktiv auf der eigenen Website, welche Werbung sie aussteuert.
Offensiv Transparent bei Facebook Ads im Wahlkampf: Die Grünen
Bislang veröffentlicht als einzige Partei Bündnis 90 / Die Grünen die Anzeigen, die sie bei Facebook und über Google ausgesteuert. Das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung und kann den Wahlkampfteams der weiteren Parteien als Vorbild dienen. Solange jedoch das Targeting im Verborgenen bleibt und die Zielgruppen unbekannt bleiben, ist die Transparenz der Verwendung von Dark Posts auch bei den Grünen unvollständig.
Den Kern der Wahlwerbung bei Facebook bildet die Möglichkeit des Microtargeting. Zielgruppen lassen sich in überschaubare Wählergruppen unterteilen und separat ansprechen. Unwahrscheinlich ist, dass die Parteien soweit gehen und auf zwei- oder dreistellige Zielgruppenunterteilungen setzen. Separate Botschaften für Zielgruppen vierstelliger Summen erscheinen aber nicht unrealistisch.
Szenarien zum Einsatz von Microtargeting im Wahlkampf
Den werbetreibenden politischen Akteuren stehen bei der Anzeigenschaltung via Facebook unzählige Targeting-Kriterien zur Verfügung. Dazu gehören die auch auf anderen Marketing-Kanälen wie Google Adwords verfügbaren Ausrichtungen auf bestimmte Regionen (meist Postleitzahlengebiete), wie auch allgemeine soziodemografische Kriterien wie Geschlecht, Alter, Bildungsgrad nach Abschluss oder Einkommenspanne. Zusätzlich ermöglicht es die Anzeigenschaltung via Facebook aber auch Werbung weitaus genauer auf Berufsbezeichnungen, Interessen und Fans von bestimmten Facebookseiten auzurichten. So ließe sich beispielsweise die Berufsgruppe der Polizisten innerhalb von Berlin adressieren, um mit einem speziellen Werbemittel auf die unzureichende finanzielle Ausstattung der Polizeikräfte hinzuweisen. Gegenüber Haus- und Wohnungsbesitzern (ebenfalls als Zielgruppe verfügbar) ließen sich Botschaften gegen die Mietpreisbremse kommunizieren und gegenüber Anhängern von konservativen Medienseiten wie die der Jungen Freiheit könnte mit einer unzulänglichen Zuwanderungspolitik geworben werden.
Die Kombination verschiedener Targeting-Kriterien im Facebook Anzeigenmanager ermöglicht die Eingrenzung der Zielgruppe auf sehr überschaubare Gruppengrößen. Sollten Parteien oder Politiker im Vorfeld des Wahlkampfs ihre Zielgruppen genau definiert haben, können sie auf die spezifischen Interessen dieser Zielgruppen eingehen und versuchen, mit gefälligen Botschaften zu mobilisieren. Andersherum funktionierte es darüber hinaus offenbar bereits im Facebook-Wahlkampf während der Kampagnen im Vorfeld der US-Präsidentschaftswahlen. Es heißt, Trump habe mittels Dark Posts bei Facebook gezielt demokratische Wähler von der Wahlurne ferngehalten, indem sein Team clintonkritische Anzeigen an demokratische Wähler ausgesteuert habe. Diese Strategie der Demobilisierung des politischen Gegners steht auch den hiesigen Parteien offen. Aktuell scheint aber die Mobilisierung der eignen Anhänger wichtiger. Dafür stehen zahlreiche Kriterien für das sogenannte Microtargeting bereit.
Beispiele von Zielgruppen im Facebook Wahlkampf
Die folgenden Zielgruppen sind keine originale der Parteien. Sie verdeutlichen lediglich, welche Ausrichtungen mittels Microtargeting bei Facebook möglich sind.
Potentielle Zielgruppe #1 (Bündnis 90 / Die Grünen)
- Potenzielle Reichweite: 1.400 Nutzer
Zielgruppendetails
- Standort: Deutschland: Berlin
- Alter: 18 – 25
- Geschlecht: Weiblich
- Sprache: Deutsch
- Personen mit diesen Merkmalen:
- Interessen: Grüne Politik
- Ausbildungsgrad: Abiturient
- Und auch mit Folgendem übereinstimmen müssen:
- Interessen: Umwelt, Umweltschutz oder Tierschutz
Potentielle Zielgruppe #2 (AFD)
- Potenzielle Reichweite: 7.700 Nutzer
Zielgruppendetails
- Standort: Deutschland: Mecklenburg-Vorpommern
- Alter: 18 – 40
- Sprache: Deutsch
- Personen mit diesen Merkmalen:
- Interessen: Junge Freiheit, Alternative für Deutschland AfD oder Migration
Potentielle Zielgruppe #3 (FDP)
- Potenzielle Reichweite: 2.300 Nutzer
Zielgruppendetails
- Standort: Deutschland
- Alter: 18 – 50
- Sprache: Deutsch
- Personen mit diesen Merkmalen:
- Einkommen: Geschätztes monatliches Nettoeinkommen über 5.000 EURO
- Und auch mit Folgendem übereinstimmen müssen:
- Arbeitgeber: Selbstständig
Die Kriterien zum Aussteuern der Facebook-Anzeigen scheinen unerschöpflich. Facebook bietet zudem nicht bloß eine Kriterienliste, aus der Werbetreibende Zielgruppenmerkmale auswählen. Zwar ermöglichen bereits die vier vorgefertigten Kategorien „Demografische Angaben“, „Interessen“, „Verhalten“ und „Weitere Kategorien“ umfassende Ausrichtungen.
Mittels Sucheingabe kommen jedoch zusätzliche Kriterien und Aussteuerungsoptionen zum Vorschein. Es scheint keine Ausrichtung zu geben, die es nicht gibt.
Doch nicht nur die umfassenden Optionen zur Ausrichtung von Kampagnen sind wichtige Hebel, bei der Wähleransprache via Facebook. Kamen Kontakte zum Wähler erst einmal zustande, lassen sich diese im Wahlkampf weiter nutzen.
Wahlwerbung bei Facebook mittels Retargeting und Similar-Audiances
Mit einem weiteren interessanten Hebel haben Parteien im Wahlkampf die Möglichkeit Wahlwerbung via Facebook an ihre Zielgruppen zu richten. Der Facebook Tracking-Pixel ermöglicht es, Besucher der eigenen Website bei Facebook erneut anzusprechen. Eine Kennzeichnung der Websitebesucher findet über ein Cookie im Browser statt. Beim nächsten Facebook Besuch kann diese offenbar interessierte Zielgruppe erneut via Facebook Anzeige in Form eines Dark Posts angesprochen werden. Hat der Webseitenbetreiber seine Zielgruppen segmentiert, beispielsweise basierend auf aufgerufenen URLs zu unterschiedlichen Themen auf der eigenen Website, so ließen sich die auf diesem Wege entstandenen Remarketing-Listen inhaltlich ausrichten. Besucher des Webseitenbereichs zum Thema „Umwelt“ erhalten eine Anzeige, zu den Standpunkten der Partei in Umweltfragen. Besucher von Website-Inhalten zum Thema Einwanderung, erhalten eine Botschaft der Partei zu diesem Thema. Der getrackte Nutzer wird bei Facebook wiederholt im Newsfeed zu Themen seines Interesses adressiert, es sei denn er löscht in der Zwischenzeit die Cookies in seinem Browser.
Basierend auf diesem Nutzertracking kann Facebook sogenannte „Similar Audiances“ identifizieren. Dabei handelt es sich um User, die in Ihrem Nutzerverhalten Menschen ähneln, die bereits Fan von z. B. einer bestimmten Parteienseite bei Facebook sind. Facebook gleicht die Daten der Anhänger einer Facebook Page mit den Daten aller weiteren Facebook-Nutzer innerhalb Deutschlands ab. Werbetreibende Parteien können diese „statistischen Zwillinge“ mit zugeschnittenen Botschaften adressieren.
Retarging im Facebook-Wahlkampf – illegal?
Folgt man der Einschätzung von Rechtsexperten, ist das Vorgehen der Anzeigenschaltung mittels Remarketing und Similar Audiances rechtlich wenigstens fragwürdig. Die Analyse von wahlkampfbezogenen Werbeanzeigen zeigt aber: Es ist gängige Praxis.
Ebenfalls fragwürdig sind wahlbezogene Anzeigenschaltungen von Dritten. Nicht nur Parteien und Direktkandidaten schalten gegenwärtig in großem Maßstab Anzeigen bei Facebook. Auch Verbände und Interessengruppen schalten sich ein. Sie formulieren Forderungen an die Politik, versuchen Themen auf die politische Agenda zu heben oder bewerten Themen der aktuellen politischen Debatten.
Während des Präsidentschaftswahlkampfs in den USA sollen politisierende Anzeigen sogar vonseiten Russlands geschaltet worden sein. Presseberichte beschreiben den Umfang der Einflussnahme mit einem Anzeigenvolumen von US $ 100.000,00. Verbände und Interessengruppen sind unlängst mit Anzeigenschaltungen bei Facebook aktiv. Ob auch ausländische Akteure versuchen, über eine Ansprache der Wählerinnen und Wähler Einfluss zu nehmen ist bislang nicht bekannt.
Fehler beim Schalten von Facebook Ads
Nicht nur Parteien schalten Anzeigen bei Facebook, auch Direktkandidaten aus den einzelnen Wahlkreisen Nutzen Facebook Anzeigen um ihre Wählerschaft zu erreichen. Dabei kommt es vor offenbar vor, dass bei den zahlreichen Targeting-Kriterien das wichtige Kriterium der geografischen Ausrichtung übersehen wird. Beispielsweise schaltet die FDP-Kandidatin Linda Teuteberg Anzeigen im Raum Berlin, ist aber ausschließlich im Wahlkreis 61 (Potsdam – Potsdam-Mittelmark II – Teltow-Fläming II) wählbar. Seltsamerweise hat auch der Spitzenkandidat der österreichischen ÖVP Sebastian Kurz Facebook Anzeigen in ganz Deutschland ausgeliefert. Möglich, dass es Kandidaten wie Teuteberg darum geht, eine möglichst große Fan-Base aufzubauen, um damit für potenzielle Wähler relevanter zu erscheinen.
Entscheiden Facebook Anzeigen den Wahlkampf?
Unwahrscheinlich. Facebook ist ein Kanal von vielen, wenn auch einer mit zunehmender Bedeutung für die politische Willensbildung. Die Anzeigenschaltungen bei Facebook sind ein bedeutender Weg, potenzielle Wähler zu erreichen und mit zielgruppengenau zugeschnittenen Botschaften anzusprechen. Dennoch bilden sie nur einen weiteren Kontaktpunkt zur Wähleransprache. Letztlich entscheidet nicht ein Tool wie etwa die Dark Posts bei Facebook die Wahlen, sondern die richtige Botschaft, gerichtet an die richtige Zielgruppe.
Doch auch wenn Facebook Ads die Wahlen nicht entscheiden, beeinflussen werden sie die Entscheidung von zahlreichen Wählern im ganzen Land auf jeden Fall. Kandidaten und Parteien, die es schaffen, überzeugende Botschaften zu entwickeln und diese via Facebook an eine relevante Zielgruppe zu richten, können im Wahlkampf wichtige Punkte gutmachen. Für die Zukunft kann als sicher gelten: Der Facebook Wahlkampf hat gerade erst begonnen.