Einschätzungen zum Design von Wahlplakaten sind subjektiv. Gerade habe ich das Urteil von Dr. Frank Brettschneider zu den Wahlplakaten der großen deutschen Parteien im Bundestagswahlkampf gelesen. Ich muss in Teilen widersprechen.
Das Wahlplakat der CDU, auf dem Angela Merkel zu sehen ist, ist handwerklich gut gemacht.
Hier stimme ich Brettschneider zu. Gutes Foto, klarer Look, gut bearbeitet. Und die Deutschlandflagge, verfremdet im Hintergrund – damit dürften sich viel CDU-Stammwähler angesprochen fühlen. Wer aber nicht zu dieser Wählerschaft der CDU gehört, wer sich orientieren will im deutschen Parteiengeflecht, der fragt sich: Welche Ziele hat die CDU? Wofür steht die Partei? Die CDU-Wahlplakate lassen das unbeantwortet. Einer meiner Kollegen formulierte es kürzlich etwas drastischer: „Die neue CDU-Kampagne interessiert nicht, bewegt nicht, motiviert nicht. Sie zielt auf ein Mindestmaß an Zustimmung. Leider!“. Stimmt. Leider.
Auffällig: Auf dem Merkel-Plakat ist außer Titel und CDU-Logo nichts weiter zu finden. Kein Hashtag. Keine Url. Nichts. Und das braucht es auch nicht. Aus werblicher Sicht, unter dem Strich: Saubere Arbeit.
So nicht: Wahlplakat der SPD
Ich bin Pedant. Das muss ich voranstellen, bevor es um die SPD geht. Auch hier gilt: Foto okay. Aber damit bin ich schon am Ende der Positiv-Kritik. Zum Negativen – Kritikpunkt 1: Warum die große, klobige rote Box um den Titel (Die CDU hat das mit zeilenweisem Rahmen besser gelöst)? Rot als starke Signalfarbe (Gefahr!), sollte reduzierter eingesetzt werden. Immerhin: die Box ist transparent. Immerhin! Kritikpunkt 2: Der Titel. Was ist denn das für ein Satz: „Die Zukunft braucht neue Ideen. Und einen, der sie durchsetzt.“? Die Zukunft braucht gar nichts. Sie kommt, so oder so. „In der Zukunft brauchen wir…“ hätte es heißen können. Aber damit hätte man die zulässige Zeichenzahl überschritten und damit geht man auf Plakaten gern sparsam um. Und Teil 2: „Und einen, der sie durchsetzt.“ Aha. Ideen werden ja meist nicht durchgesetzt. Dann blieben sie Ideen. Eigentlich setzt man sie um. Aber gut, man wollte dem Kandidaten das Attribut der Durchsetzungskraft anheften und hat in Kauf genommen, dem Satz damit seines Inhalts zu berauben.
Das SPD-Plakat birgt noch ein zusätzliches handwerkliches Schmankerl der besonderen Art: „Zeit-für-mehr-Gerechtigkeit.de“ steht links neben dem SPD-Logo in weißer Typografie geschrieben. Es steht dort kontrastlos. Verloren, auf dem hellem Grund des Bildmotivs. Niemandem dürfte die Url innerhalb von zwei Sekunden auffallen. Zwei Sekunden, in denen die Botschaft vom Plakat in den Kopf des Betrachters springen muss. Darüber hinaus: Urls schreibt man in der Regel durchgehend klein. So, wie sie auch im Browserfenster erscheinen, nach entsprechendem Link-Klick. Soviel zu Kritikpunkt 3. Und viertens: Noch einmal die Url. Ja, die stört mich sehr. Auch, weil sie lediglich eine Weiterleitung zur Website „spd.de/standpunkte“ bildet. Hatte man vor, mit einer unsichtbaren, generischen Url, dem Plakat einen Kampagnenstempel aufzudrücken? spd.de wäre wohl eine Dopplung zum Parteilogo gewesen. Ich würde mich freuen, wenn die Kollegen von KNSK einmal erklären, was sie sich dabei gedacht haben. Für mich: unverständlich, ein bisschen Murks.
Die FDP, die FDP, die FDP. Die FDP macht im Web den tollsten Wahlkampf überhaupt.
So kommt es mir immer wieder zu Ohren. Das mag sein. Laut Brettschneider kann sie auch Plakat besonders gut: „Die FDP-Plakatkampagne finde ich spannend, denn sie bricht mit fast allen Traditionen.“ Ich gehe mit: Die FDP schafft es, mit den Plakaten im ansonsten stereotypischen Plakatwahlkampf aufzufallen. Aber: Brettschneider kritisiert, dass Christian Lindner wie bei einem Mode-Shooting abgelichtet ist. Ist das sein ernst? Die Fotos von Lindner machen den besonderen Charakter der Plakate aus (und man kann dabei von Lindner halten was man möchte). Vor allem der Stil der Fotografie macht die Motive so stark. Ergänzt um die weiteren Elemente Typografie, Farbe, Anordnung: Super. Diese Arbeit von Heimat bringt das werbliche in die Wahlwerbung. Meine Meinung: Endlich mehr Ästhetik in der Wahlplakat-Fotografie. Bei der ganzen Handwerkskunst ist lediglich eines hinten runtergefallen: Die Inhalte. Wofür die Partei steht, mag sich aus dem kleingedruckten ergeben. Aber mal ehrlich: Wer liest das? Die FDP, das geht aus diesem und weiteren Liberalen-Plakaten hervor, ist vor allem Christian Lindner.
Wahlplakate von Bündnis 90 / Die Grünen: Vor allem laut
Nun zu den Grünen. Vorweg: Ich habe selbst einst an den Kampagnen der Grünen mitgearbeitet. 2009 und 2013 war das. Nie an den Plakaten. Immer am Digitalen. Ich bin schon irgendwie Öko und ja, ich mag die Grünen. Aber lassen wir das beiseite und kommen zur Sache. Brettschneider schreibt: „Diese Plakat-Kampagne der Grünen ist gruselig. Und das aus mehrfacher Hinsicht.“. Ich finde: Er hat ein bisschen Recht. Die Magenta-Masse schreit den Betrachter an. In dezentem Umfang verwendet – siehe FDP – ist sie durchaus eine Farbe für das Wahlplakat. Bei den Grünen wurde übertrieben. Auch die Erde ist auf dem Motiv – wie von Brettschneider beurteilt – tatsächlich bis zur Unkenntlichkeit verfremdet: Das ist nicht schön. Aber jetzt zur für mich wichtigeren Kritik: „UMWELT IST NICHT ALLES, ABER OHNE UMWELT IST ALLES NICHTS“ steht dort in Versalien geschrieben. In Versalien! In Versalien über sieben Zeilen! Versalien in Masse sind schwer zu verarbeiten. Das Plakat ist sehr schwer lesbar und wahnsinnig laut. Es schreit mich an. Ich nehme nur Lärm war. Die Botschaft geht unter. Schade. Hinzu kommt, was dort steht. Der Satz „Umwelt ist nicht alles, aber ohne Umwelt ist alles nichts“ mag einen schönen Wortwitz beinhalten, in zwei Sekunden hat der Betrachter das vielleicht lesen können. Keinesfalls aber hat er es verstanden.
Ich vermute im Flow des Textens gewichtete man den Wortwitz zunehmend stärker – zulasten der Botschaft (siehe SPD). Ich finde das insgesamt nicht gut.
Die AfD zeigt Ärsche
Das muss nicht schlecht sein. Beim Wählerklientel der AfD dürfte das ankommen. „Sex sells“ gilt darüber hinaus heute noch wie gestern und morgen. Und Sexismus ist bei der AfD qua Wahlprogramm Bestandteil der Identität. Anders als Brettschneider halte ich den Titel „Burkas? Wir stehen auf Bikins“ außerdem für absolut populistisch. Auch sehe ich nicht, wie das Plakat aus der Reihe tanzt. Eine Stärke der vergleichsweise amateurhaft wirkenden AfD-Plakate besteht für mich darin, dass klare Positionen erkennbar sind. Man ist gegen Burkas (und damit gegen Muslime), für traditionelle Familien (auch wenn das Foto offenbar eine asiatische Familie zeigt), gegen Europa und für direkte Demokratie. Die Plakate schaffen es, diese Positionen auszudrücken. Reduziert auf den Zweck der Kommunikation eines Wahlplakats und die AfD-Zielgruppe: Das funktioniert.
Die Wahlplakate der Linken
Auch mit Blick auf die Plakate der Linken kann ich Brettschneider nur bedingt zustimmen: Die Linke ist klar in ihrer Botschaft: „gegen rechte Hetze“. Um das zu vermitteln, reicht aber fast schon das Logo der Partei. In meinen Augen versäumt es die Linke in Teilen, eine Linie in ihre Plakat-Serie zu bringen. Zwar ist die weiße Typo auf rotem Grund, aus der die politischen Positionen hervorgehen zzgl. Absender-Logo immer gleich. Die visuellen Elemente oben im Plakat variieren aber so stark, dass die Wiedererkennung fast flöten geht. Positiv: Auch die Linke schafft es, die eigenen Positionen und Themen klar zu kommunizieren. Allerdings springt die Botschaft aufgrund der vielfältigen und unterschiedlichen Stile der Überschriften („Mensch“, „Verdient“, „Kinder“, „Nähe“, „Respekt“, etc.) nicht so schnell über, wie beispielsweise bei der AfD.
Das ist meine Meinung.